BGH, Beschluss vom 07.02.2022, AZ 5 StR 542/20
Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs, Nr. 17/2022, vom 07.02.2022
Revisionen der Angeklagten im sogenannten „Berliner Wettbüro-Mordfall“ erfolglos; Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Vollstreckungsabschlages
Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20
Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Revisionen von neun Angeklagten gegen die Urteile des Landgerichts Berlin vom 1. Oktober und 18. Dezember 2019 sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil vom 18. Dezember 2019 im sogenannten „Berliner Wettbüro-Mordfall“ am 18. und 19. Januar 2022 verhandelt (siehe Pressemitteilung Nr. 225/2021) und mit Urteil vom heutigen Tag entschieden.
Nach jeweils mehrjährigen Hauptverhandlungen hat das Landgericht Berlin am 1. Oktober und 18. Dezember 2019 acht der Angeklagten wegen Mordes und einen weiteren wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Von der Mindestverbüßungsdauer hat es in allen Fällen einen Teil für vollstreckt erklärt.
Nach den Urteilsfeststellungen beauftragte der wegen Anstiftung zum Mord verurteilte Anführer einer Berliner Gruppierung der „Hells Angels“ am Abend des 10. Januar 2014 u. a. die Mitangeklagten, seinen langjährigen Rivalen zu töten. Dementsprechend suchten sie diesen noch am gleichen Abend zusammen mit weiteren „Hells Angels“-Mitgliedern in seinem Stammlokal in einem Berliner Wettbüro auf. Nachdem sie überfallartig in die Lokalität eingedrungen waren, gab einer der Angeklagten dem Tatplan entsprechend binnen Sekunden mehrere tödliche Schüsse auf das arglose Opfer ab.
Das Landgericht hat die Tat als heimtückische und aus niedrigen Beweggründen begangene Tötung bewertet. Es hat die am Tatort anwesenden Angeklagten deshalb wegen Mordes (§ 211 StGB) und den Auftraggeber wegen Anstiftung zum Mord (§§ 211, 26 StGB) verurteilt. Von den dafür verhängten lebenslangen Freiheitsstrafen hat es den Angeklagten jeweils einen Vollstreckungsabschlag von zwei Jahren gewährt, weil es von einer Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 MRK verbürgten Rechts der Angeklagten auf ein faires Verfahren ausgegangen ist. Denn es sei – so das Landgericht – nach der Beweisaufnahme nicht auszuschließen, dass nicht namhaft zu machende Kräfte des Landeskriminalamtes Berlin den „Dingen ihren Lauf“ ließen, obwohl sie bereits Ende Oktober 2013 Kenntnis von einer im Raum stehenden Tötung des späteren Tatopfers durch die Berliner „Hells Angels“ erlangt hätten.
Mit ihren gegen die Urteile gerichteten Revisionen haben die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und zum Teil umfangreiche Verfahrensbeanstandungen erhoben. Die Staatsanwaltschaft hat den allen Angeklagten mit Urteil vom 1. Oktober 2019 gewährten Vollstreckungsabschlag angegriffen.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revisionen von acht Angeklagten als unbegründet verworfen, da die Überprüfung weder Rechtsfehler in der Beweiswürdigung noch bei der rechtlichen Wertung ergeben hat. Auch den Verfahrensbeanstandungen ist der Erfolg versagt geblieben. Hinsichtlich eines Angeklagten hat er zwar den Schuldspruch wegen Mordes bestätigt, jedoch den Strafausspruch aufgehoben, weil das Landgericht die Ablehnung einer Strafmilderung nach § 46b StGB trotz einer von diesem Angeklagten geleisteten Aufklärungshilfe nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Nur insoweit hat der Strafsenat die Sache an das Landgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im Übrigen hat die Nachprüfung der Urteile keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil vom 1. Oktober 2019 im Rechtsfolgenausspruch insoweit aufgehoben, als das Landgericht von der Mindestverbüßungsdauer der gegen die Angeklagten verhängten lebenslangen Freiheitsstrafen jeweils zwei Jahre als vollstreckt erklärt hat; der Ausspruch ist jeweils entfallen. Eine Verletzung des Rechts der Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 MRK), mit der das Landgericht den Vollstreckungsabschlag von jeweils zwei Jahren begründet hat, liegt nicht vor. Denn ein Anspruch eines Strafftäters auf Einschreiten der Strafverfolgungsorgane gegen ihn selbst existiert nicht. Die mit der gleichen Angriffsrichtung gegen das Urteil vom 18. Dezember 2019 geführte Revision der Staatsanwaltschaft hatte der 5. Strafsenat mit Beschluss vom 25. November 2021 als unzulässig verworfen.
Vorinstanz:
Landgericht Berlin – Urteile vom 1. Oktober 2019 – (515 Ks) 251 Js 26/14 (7/14) – und vom 18. Dezember 2019 – (515 Ks) 251 Js 256/17 (7/14) Trb1
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 211 Strafgesetzbuch (Mord)
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
§ 26 Strafgesetzbuch (Anstiftung)
Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.
§ 46b Strafgesetzbuch (Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten)
(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,
1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2. (…)
kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wobei an die Stelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren tritt. (…)
Artikel 6 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 – MRK (Recht auf ein faires Verfahren)
(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
(…)
Weitere Informationen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…