OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.12.2024, AZ 7 Ws 169/24

Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main, Nr. 66/2024, vom 03.12.2024

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hebt den Beschluss über die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten auf.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichtem Beschluss auf die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft Gießen und mehrerer Nebenkläger den Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Hanau betreffend eine Anklage im Zusammenhang mit Taten im früheren KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord in 3.322 Fällen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Hanau zurückverwiesen.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den heute 100-jährigen Angeschuldigten im Sommer 2023 Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 3.322 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen erhoben. Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Angeschuldigten im damaligen KZ Sachsenhausen. Nachdem der Sachverständige im Jahr 2022 zu einem anderen Ergebnis gekommen war, hat er im Februar 2024 die Verhandlungs-, Vernehmungs- und Reiseunfähigkeit des Angeschuldigten festgestellt. Daraufhin hat das Landgericht Hanau mit Beschluss vom 06.05.2024 unter Bezugnahme auf das Gutachten die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden. Sie führen zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Hanau.

Zur Begründung verwies der zuständige 7. Strafsenat darauf, dass die Kammer gegen das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung verstoßen habe.

Die Verhandlungsfähigkeit sei im Freibeweisverfahren zu klären. Bediene sich das Gericht der Sachkunde eines Sachverständigen, dürfe es dessen Ausführungen nicht unkritisch zugrunde legen. Diagnosen und Ergebnisse seien zu hinterfragen und es sei zu prüfen, ob das Gutachten den anerkannten Mindeststandards genüge, insbesondere nachvollziehbar und transparent sei.

Hier seien seitens des Sachverständigen bereits nicht alle Befunderhebungsquellen einbezogen worden, weswegen es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Einschätzung fehle. Der Sachverständige habe selbst angegeben, dass eine Befragung des Angeschuldigten nicht möglich gewesen sei und die Möglichkeit für eine umfangreiche psychiatrische Testung nicht zur Verfügung gestanden habe. Er habe auch das Umfeld des Angeschuldigten nicht befragen können. Schließlich fehlten Unterlagen zur Krankengeschichte zwischen der Erst- und der Zweibegutachtung. Die zuständige Jugendkammer habe deshalb zunächst durch weitere Ermittlungshandlungen – etwa durch Beschaffung von Unterlagen oder Vernehmungen im Umfeld des Angeschuldigten – die Erkenntnisgrundlage für den Sachverständigen verbessern und ihn sodann zur Ergänzung des Gutachtens auffordern müssen.

Darüber hinaus leide das Gutachten an Darstellungsmängeln. Das Gutachtenergebnis, wonach der Angeschuldigte nicht verhandlungsfähig sei, sei nicht ausreichend nachvollziehbar dargestellt worden. Verhandlungsunfähigkeit sei nur bei „solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten anzunehmen, deren Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch verfahrensrechtliche Hilfen für den Angeklagten nicht hinreichend ausgeglichen werden können“, führte der Senat aus. Hier seien die sich aus dem Gutachten ergebenden Informationen nicht ausreichend, um dem Gericht eine eigene Überzeugungsbildung vom Vorliegen dieser Umstände zu ermöglichen. Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen des Sachverständigen seien nur ungenau mitgeteilt worden; die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Einsatzes technischer, medizinischer oder verfahrensrechtlicher Hilfen sei lückenhaft, oberflächlich und teils widersprüchlich. Die Ausführungen des Sachverständigen zu einer aus der Hauptverhandlung resultierenden konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung für den Angeschuldigten reichten ebenfalls nicht für die gerichtliche Überzeugungsbildung. Insbesondere seien die sich aus dem Gutachten ergebenden Informationen nicht ausreichend, um die erforderliche konkrete Abwägung vorzunehmen.

Der Senat hat das Verfahren an das Landgericht Hanau zurückverwiesen, damit dort die erforderlichen Nachermittlungen durchgeführt werden können.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.10.2024, Az.: 7 Ws 169/24
(vorausgehend Landgericht Hanau, Beschluss vom 6.5.2024, Az.: 2 Ks 501 Js 33635/22 (8/24))

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